Heute treten wir in die dritte Jahreszeit ein, den Herbst. Einige Anzeichen machen sich schon seit längerem bemerkbar, andere suchen wir vergeblich. Astronomisch gesehen bedeutet die Tag-und Nachtgleiche, auch Äquinoktium genannt, dass die Sonne senkrecht über dem Äquator steht und der Tag und die Nacht überall auf der Erde gleich lang sind, nämlich 12 Stunden.
Danach werden die Tage kürzer als die Nächte – die dunkle Jahreszeit nimmt hier ihren Anfang. Menschen, Tiere und Pflanzen stellen sich darauf ein. Der moderne Mensch in seiner durch künstliche Beleuchtungen bestimmten Umwelt ist von der zunehmenden Dunkelheit nicht wirklich betroffen, obwohl die Eine oder der Andere gefühlsmäßig auf die astronomisch bedingten Veränderungen reagiert.
Der Herbst wird oft mit dem Herbst des Lebens in Beziehung gebracht, wie es beispielsweise in dem folgenden Gedicht von Emanuel Geibel (1815 – 1884) anklingt:
O wär’ es bloß der Wange Pracht,
Die mit den Jahren flieht!
Doch das ist’s, was mich traurig macht,
Dass auch das Herz verblüht;
Dass, wie der Jugend Ruf verhallt
Und wie der Blick sich trübt,
Die Brust, die einst so heiß gewallt,
Vergisst, wie sie geliebt.
Ob von der Lippe dann auch kühn
Sich Witz und Scherz ergießt,
’s ist nur ein heuchlerisches Grün,
Das über Gräbern sprießt.
Die Nacht kommt, mit der Nacht der Schmerz
Der eitle Flimmer bricht;
Nach Tränen sehnt sich unser Herz
Und findet Tränen nicht.
Wir sind so arm, wir sind so müd’,
Warum, wir wissen’s kaum;
Wir fühlen nur, das Herz verblüht,
Und alles Glück ist Traum.
Es ist schon interessant, wie ein astronomisches Detail, eine Stelle der Erdbahn um die Sonne, zu derart tiefen Gefühlen Anlass geben kann. Offenbar ist das Astronomische nur ein Aspekt der Angelegenheit, der den meisten Menschen noch nicht einmal bewusst ist.
Ganz so kann man es wahrlich nicht sehen.
Das heisse verwandelt sich und nichts daran ist ein wirklicher Verlust.
Soll denn eine Tonne Erfahrung nicht Spuren hinterlassen!?
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So weit ich weiß, ist das Geibelsche Gedicht ein Herbstgedicht und zeigt, wie in früheren Zeiten der Herbst gefühlsmäßig wahrgenommen wurde. Davon geblieben sind die kürzeren Tage, die Temperaturen muten allerdings im Vergleich zu früher eher spätsommerlich an.
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Das Geibelgedicht klingt mir aber eher winterlich als nach goldenem Herbst, lieber Joachim.
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Das Gedicht trägt die Überschrift „Herbstgefühl“ und zeigt wie zur Zeit Geibels der Herbst wahrgenommen wurde. Wir können das mit Heute natürlich nicht vergleichen, wo wir in der technisierten, erleuchteten und geheizten Welt äußerlich kaum noch etwas von den Jahreszeiten erfahren. Jedenfalls ist der Herbst auch astronomisch gesehen nach wie vor die Jahreszeit, in der die Tage kürzer werden. Und die Blätter fallen, auch wenn sie darüber mit ihren tollen Farben oft wegzutäuschen vermögen.
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Ich wollte meine Anmerkung eher auf die Metapher des menschlichen Lebenszyklus beziehen – in unserer Zeit versinken Menschen in ihrem Herbst nicht mehr zwangsläufig in hoffnungsloser Trostlosigkeit.
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Was hier mit herbstlichen Gefühlen angsprochen wird, muss m.E. nicht unbedingt mit dem menschlichen Lebenszyklus in Verbindung gebracht werden. Ich denke, dass der Herbst eher als Metapher für Gefühle gemeint ist, die Menschen jeden Lebensalters betreffen können. Auch jüngere Menschen können Gründe haben, die sie in hoffnungslose Trostlosigkeit bringen.
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Recht hast du … ich bin hier blindlings in das Klischee vom „Herbst des Lebens“ getappt.
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Ich denke, es sind beide Aspekte zu berücksichtigen. Auch der „Herbst des Lebens“ ist bei Geibel wohl mitgedacht.
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Wahr gesprochen
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🙂
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Das Foto ist so wunderbar, so lichtvoll, so trostreich… Dazu paßt das Gedicht von Emanuel Geibel nicht, finde ich.
Vielleicht sollte man versuchen, zu dem Bild ein neues Gedicht zu schreiben.
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Mag sein, dass Foto und Gedicht nicht für alle zusammenpassen. Für mich hat das Foto mit seinen schräg einfallenden Sonnenstrahlen auch und vor allem etwas Herbstliches…
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Auf jeden Fall hat dies Foto „etwas Herbstliches“.
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🙂
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Diese Tag- und Nachtgleiche ist mir ganz entgangen, danke fürs Dranerinnern, Joachim. Sicher wurde der Herbst zu Geibels Lebzeiten anders wahrgenommen – er wurde 1815 in Lübeck geboren, wo er 1884 auch starb – ein melancholischer Norddeutscher zu Zeiten, als sich die letzte Kleine Eiszeit ihrem Ende näherte… Doch auch ich empfinde den Verlust der Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit im Alter als schmerzhaft. Da wir im Durchschnitt älter werden, verschiebt sich dieser Zeitpunkt ähnlich wie der Herbstbeginn nach später….
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Vielen Dank für deine kluge Ergänzung…
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Verlust der Empfindungs- und Erlebnisfähigkeit im Alter ?
Ich kenne Menschen Anfang ihrer Achtziger, für die das wohl nicht zutrifft.
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Ich auch 🙂
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Nicht Verlust, aber Minderung, lieber Gerhard. Die Sinne werden müder. Ich weiß, wovon ich rede, leider.
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