Wenn man den jungen Mond betrachtet und auch noch das Glück hat, das aschfahle Licht zu sehen, hat man oft den Eindruck, dass die schmale Sichel, also der direkt von der Sonne beschienene Teil des Monds mit sehr grobem Strich gezeichnet ist und über den Rand eines runden Gebildes hinwegreicht. Dieser Eindruck ist eine optische Täuschung, der nicht nur unser visuelles Wahrnehmungssystem, sondern auch die fotografische Technik erliegt.
Normalerweise werden die gesehenen Gegenstände den Gesetzen der geometrischen Optik entsprechend auf der Netzhaut des Auges farb- und helligkeitsgetreu abgebildet. Bei sehr hellen Objekten werden die Rezeptoren aber gegebenenfalls über die Sättigung hinaus angesprochen und dadurch so stark erregt, dass auch noch einige der benachbarten Rezeptoren reagieren. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es auch dort noch hell ist, obwohl es „in Wirklichkeit“ nicht der Fall ist. Dieser physiologische Effekt wird auch als Überstrahlung oder Irradiation (Hermann von Helmholtz) bezeichnet.
Wie die Abbildungen zeigen, treten ähnliche Überstrahlungen des intensiv belichteten Bereichs auch in der Fotografie auf. Sowohl beim lichtempfindlichen Film einer analogen Kamera als auch bei den Chips einer Digitalkamera werden die benachbarten Bereiche bei übergroßer Helligkeit ebenfalls in vergleichbarem Maße aktiviert. Das ist aber kein technischer Mangel, sondern eher ein glücklicher Umstand. Denn man erwartet von einer Fotografie, dass sie die Dinge so abbildet wie wir sie auch sehen.
Beim Mond ist dieser Effekt schon sehr lange unter dem Namen „luna cornuta“ bekannt.
Diskussionen
Trackbacks/Pingbacks
Pingback: Im Jahr des Lichts (10) – Der Mond geht mit | Die Welt physikalisch gesehen - 13. Juni 2015
Pingback: Ein Flur als Lichtleiter | Die Welt physikalisch gesehen - 9. Januar 2017
Pingback: Die Sonne brennt sich durch das Geäst | Die Welt physikalisch gesehen - 26. Januar 2018
Pingback: Der Mond ist keine Scheibe | Die Welt physikalisch gesehen - 5. Juni 2020