H. Joachim Schlichting. Spektrum der Wissenschaft 1, (2021), S. 64 – 65
Vergessen wir die Dinge,
betrachten wir die Struktur
Georges Braque (1882–1963)
Abdrücke im Schnee entwickeln sich unter besonderen Bedingungen zu auffällig kreisförmigen Strukturen. Das liegt vor allem am Wärmeaustausch mit der Umgebung, der sich mit der Konsistenz des gefrorenen Wassers verändert.
Der Unterschied zwischen Schnee und Eis scheint auf der Hand zu liegen: Ersterer ist weich und porös, während Letzteres hart, glatt und äußerst kompakt ist. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sind die Übergänge zwischen den beiden Formen des Wassers jedoch im wahrsten Wortsinn fließend. Das Hin und Her zwischen Auftauen und Erstarren kann faszinierende Strukturen hervorbringen (siehe »Spektrum« Januar 2019, S. 64).
Ein besonders ungewöhnliches Phänomen sind torusförmige Abdrücke im Schnee. Die kreisrunden Hügel wirken wie weiße Donuts, die in fast gleichen Abständen in der ansonsten ungestörten Flockendecke liegen (siehe Foto …). Man könnte denken, das Muster wäre hinein gemalt worden, doch eine nähere Betrachtung zeigt, dass keine gestalterische Absicht dahinter steht. Vielmehr waren nur eine schmelzende Schneeschicht sowie eine wiederholte gleichartige mechanische Einwirkung nötig – hier vermutlich durch die Schritte einer Katze.
Zuvor ist ein Schneeschauer auf einen Boden mit Temperaturen über dem Gefrierpunkt niedergegangen. In so einer Situation beginnen die Eiskristalle im Kontakt mit der Erdoberfläche zu schmelzen. Unmittelbar über dieser wird die Lage darum wässrig. In so einem Zustand drücken Schritte den Schnee nicht einfach etwas dichter zusammen, sondern verändern dessen Konsistenz dramatisch. Daraufhin wird der dunkle Untergrund sichtbar.
Die Katze, die wohl über die frisch gefallene Schicht getapst ist, hat mit jedem Tritt die bereits partiell angeschmolzene, etwas matschige Masse unter jeder Pfote komprimiert und radial zu den Seiten weggedrückt. Wie man es von Schneeballschlachten kennt, ist der Schnee besonders dann leicht zu formen und zu festigen, wenn seine Temperatur in der Nähe des Nullpunkts liegt. Dann wird das Kristallgemenge, das bereits kurz vor dem Schmelzen steht, zusätzlich vom Druck der Hände teilweise verflüssigt.
Dabei spielt die so genannte Dichteanomalie des Wassers die entscheidende Rolle. Denn anders als bei den meisten anderen Stoffen dehnt es sich aus, wenn es fest wird, und verringert im flüssigen Zustand sein Volumen. Presst man Schnee zusammen, schmilzt ein Teil davon. Sobald der Druck nachlässt, gefriert das Schmelzwasser wieder. Mit dem Trick kann man sein Wurfgeschoss besonders hart machen.
Das legt einen möglichen Mechanismus für die Bildung der mysteriösen Donuts nahe: Dort, wo der Schnee Kontakt zum relativ warmen Untergrund bekommt, schmilzt er teilweise und bildet eine dünne wässrige Schicht. Diese wird vom Druck der Pfoten des Tiers komprimiert und radial zur Seite weg- und zusammengedrückt. So entsteht ein ringförmiger Wulst, der sich unmittelbar danach wieder entspannt – und teilweise neu gefriert und sich dadurch verfestigt. Dabei wird Kristallisationswärme frei, die vor allem in die Umgebung fließt. Das beschleunigt den Schmelzvorgang in unmittelbarer Nähe. Gleichzeitig wölbt sich der auf dem Wulst befindliche lockere Schnee auf.
Im Lauf der Zeit schmilzt der Schnee weiter. Die ehemals weiße Schicht wird dünner und infolge des wachsenden Wasseranteils transparenter. Der dunkle Boden schimmert immer mehr hindurch, insbesondere an den Trittstellen und in einem Ring unmittelbar um die Donuts. Dieser ist durch Schmelzwasser entstanden, das der Wulst bei seiner Entstehung vor sich hergetrieben hat und das die Kristallisationswärme vom Erstarren des Hügels aufgenommen hat.
Die vereisten und nach wie vor von Schnee bedeckten Wulste bleiben bei Tauwetter lange erhalten, sogar, wenn das Weiß in der Umgebung bereits verschwunden ist (siehe Foto …). Würde man sie erst jetzt wahrnehmen, gäben sie kaum noch Hinweise auf ihre Entstehung. Sie sind so dauerhaft, weil der Schnee, der auf den Donuts liegt, vom Boden isoliert ist, während die Schicht drumherum direkt mit dem wärmeren Untergrund in Verbindung steht. Der isolierende Wulst selbst schmilzt langsamer, weil er dichter ist und somit eine größere Wärmekapazität hat. Da er so kompakt ist, strömt ihm außerdem weniger Wärme zu als dem von zahlreichen Hohlräumen durchzogenen Schnee. Die kreisrunde Form wird vom Wärmetransport verstärkt: Jede Abweichung von der Ringstruktur liegt besonders exponiert und kann daher leichter Energie an die Umgebung abgeben und abschmelzen.
Wegen der vielen Umstände, die dafür günstig zusammentreffen müssen, dürften derart konservierte Pfotenabdrücke ein eher seltenes Phänomen sein. Komprimierter und vereister Schnee überdauert allerdings auch in alltäglicheren Situationen wesentlich länger als die ursprüngliche lockere Form. Beispielsweise liegt die auf Gehwegen festgetretene Schicht häufig noch, während zu den Seiten kaum etwas übrig ist (siehe Foto). Das Schmelzwasser schmiert den vereisten Weg dann regelrecht und macht das Betreten riskant (siehe »Spektrum« Dezember 2020, S. 70). Das erklärt vielleicht ebenfalls, warum wir solche Strukturen abseits der Pfade kaum entdecken: Gerade, wenn die Witterung für ihre Entstehung günstig ist, sind wir meist eher damit beschäftigt, vorsichtig vor unsere eigenen Füße zu schauen.
Dieses ist die Einreichversion des Beitrags: Geheimnisvolle Spuren im Schnee in Spektrum der Wissenschaft
Katzen können Physik…denn sie geben Menschen Rätsel auf, an denen sie wachsen können. 😃
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So könnte man es sehen: A B C, die Katze lief eim Schnee, und als sie dann nach Hause kam, da hat sie weiße Stiefel an… Das was man auf dem Foto sieht sind die Gegenstücke der weißen Stiefel. 😉
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Irgendwoher muss sie ja ihre Stiefel haben, die Katze 😉
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🙂
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Dein letzter Satz ist eine bittere Wahrheit und entschuldigt gleichzeitig, warum ich etwas so Interessantes in natura nicht mitbekomme. Deshalb mein besonderer Dank an dich.
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Diese Phänomene sind auch sehr selten. Ich habe es selbst auch nur auf Fotos gesehen, die mir von einem interessierten Naturbeobachter zusammen mit einer Beschreibung der Beobachtung zugeschickt wurden.
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Wenn die Katze wüsste,was für komplexe Prozesse sie mit dem harmlosen Spaziergang auslöst, würde sie keinen Schritt weiter wagen.
Danke für die interessante Information, Joachim.
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Genau! Das ist so ähnlich als würde man beim Fahrradfahren überlegen, welche physikalischen Abläufen man zu bewerkstelligen hätte ,an würde entweder gar nicht erst von der Stelle kommen oder umkippen…
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O ja, oder wenn ein Tausendfüßler vor jedem Schritt überlegen müsste, welches Bein als nächstes dran ist …
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…wie leicht könnte es sich da verzählen. Gut dass ich kein Tausendfüßler bin.
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Ich habe so etwas auch noch nicht gesehen! Aber jetzt mit Deiner Erklärung, werde ich ganz besonders darauf achten, um es selbst mal Sehen zu bekommen!
Super Beitrag! Danke Joachim!
Liebe Grüße Babsi
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Das Problem bei der Beobachtung solcher Phänomene ist natürlich deren Seltenheit (weil die Bedingungen alle passen müssen) und dass man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Vielen Dank, liebe Babsi!
Lebe Grüße, Joachim.
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