Sonnenwende. Heißt das jetzt, dass von nun an die Sonne von unten durch die Ritzen strahlt (siehe Foto)? Und was hat die Wintersonnenwende, der kürzeste Tag, mit Schneewittchen et al. zu tun? Das verrät uns der folgende Text aus einem alten Buch einer volkstümlichen Himmelskunde. Ich zitiere eine kurze Passage, die in dem ansonsten naturwissenschaftlich geprägten Text auftaucht.
Nun will ich noch erzählen, wie unsre Vorfahren, den kürzesten Tag feierten. Sie nannten ihn Sonnenwendtag, weil sie meinten, die Sonne, die sich schon fast ganz abgewandt habe, wende sich ihnen nun wieder zu. Nun löschten sie alles Feuer und Licht im Hause vollends aus; es wurde ganz finster und kalt. Aber Wodan, ihr höchster Gott, wollte heute neues, wundertätiges Feuer bringen. Man mußte ihm nur dabei helfen.
Ein starker Eichenpfahl wurde in die Erde geschlagen, ein Loch hineingebohrt und in dies Loch die Asche eines neuen Rades eingelassen. Das Rad, Jul genannt, hatte neun Speichen, die mit trockenem Stroh umwickelt waren; an diesen wurden Stricke befestigt, und die schönsten Jünglinge und Jungfrauen drehten nun das Rad von Ost nach West, so wie die Sonne läuft, bis die Asche sich entzündete und das Stroh Feuer fing. Lauter Jubel begrüßte das Julfeuer; alle steckten ihre Fackeln an dem Rade in Brand, trugen die heilige Flamme in die Häuser und entzündeten dort auf dem Herde den Julkloben für das künftige Jahr. Denn ein ganzes Jahr brannte das Herdfeuer von diesem Brande; auch nachts glomm es unter der Asche fort. Die Asche des Julfeuers wurde auf die Felder gestreut und in die Krippen der Tiere; der Rauch durchzog die Obstbäume und Fischernetze; dann aller Fruchtbarkeit Anfang war das neue Sonnenfeuer. –
Auch den Märchen von Rotkäppchen, Sneewittchen, Dornröschen u. a. liegt der Gedanke zugrunde, daß mit dem kürzesten Tage die Erde dem Tode nahe ist. Es wird dunkel wie im Wolfsbauch; ein gläserner Sarg von Eis deckt alles Leben; die Rosen tragen Dornen und keine Blüte mehr. Aber die Erde ist nur scheinbar tot. Ein schmucker Jäger, ein strahlender Königsssohn erweckt sie wieder zu neuem Leben.
Da wacht die Erde grünend auf,
weiß nicht, wie ihr geschehen,
und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
und möchte vor Lust vergehen.
Aus: Georg Eilers. Am Schattenstab. Eine volkstümliche Himmelkunde in geschichtlicher Anordnung. Braunschweig 1920
Gestern war es in der Tat sehr dunkel.
Die App sah etwas Sonne unter Wolken für 16:00 voraus, doch es war klar alsbald, daß dem nicht so sein würde.
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Jedenfalls geht es jetzt wieder aufwärts mit der Tageslänge. Langsam zwar, aber die Richtung stimmt.
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Das stimmt schon mal mild, wie auch das Wetter mild ist.
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Schöne kleine Geschichte, danke dafür!
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Vielen Dank! Auch ich habe die kleine Geschichte genossen. Solche Preziosen fehlen uns in der heutigen Zeit.
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Wunderbar! Diese Lektüre am Fühstückstisch war aufbauend und nach vorne gerichtet. Was will man mehr, Liebe Grüße
Jürgen
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Danke, lieber Jürgen. Ja, die alten Texte strahlen manchmal etwas ganz Besonderes aus.
Auch dir liebe Grüße,
Joachim.
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Deine Pflasterung ist gut geraten, Joachim, und dass es im besonnten Darunter und dazwischen blüht, gefällt mir natürlich besonders.
Bist du nicht – bei deiner Neigung zu sandigen Naturschönheiten – jemand, der gerne „Unter dem Pflaster, da ist der Strand“ singt?
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Ja, das siehst du ganz richtig. Es erinnert mich an meine Studienzeit, als es die Zeitschrift „PflasterStrand“ von Daniel Cohn-Bendit et al. gab. Auch der Song von einer Frauengruppe (Schneewittchen) ist mir aus den Tagen in weiter Ferne noch in lebhafter Erinnerung.
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Schneewittchen habe ich um 1980 in Recklinghausen bei den Festspielen live erlebt und war ganz hingerissen.
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Das war wie eine Zeitenwende. Ich kannte die Gruppe aus Hamburg.
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Das Foto ist wunderschön, wohl die Spiegelung einer Kirschbaumblüte in einer Pfütze? Da spiegelt sich gleichsam ein Stück Himmel.
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Gibt es in dem Text vielleicht etwas zu korrigieren? 2. Zeile: „Die Sonne, die sich schon abgewandt hatte (nicht: angewandt).
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Vielen Dank für den Hinweis auf den Schreibfehler. Ist schon korrigiert.
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😊
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Diese Julfeuergeschichte hat mir sehr gefallen. Wo solche sinnreiche Gemeinschaftstätigkeit durchs Jahr wirkt, leben Menschen und Natur anders miteinander als wir heutigen. Äußerlich betrachtet gibt es Ähnliches im orthodoxen Brauch, in der Osternacht alle Lichter zu löschen. Nur das aus Jerusalem herbeigebrachte Licht bleibt und leuchtet auf dem Altar. An ihm entzünden dann alle Gläubigen ihre Kerzen. Und tragen das Licht nach Hause. Dabei fehlt freilich die Verbindung zu Erde und Fruchtbarkeit. Es ist ein eher symbolisches Geschehen, unterstützt durch reales Feuer.
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Ja, so sehe ich das auch. Danke für deine Ausführungen zum orthodoxen Brauch. Das kannte ich nicht.
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In den Dörfern wirkt dieser Brauch sehr eindrucksvoll, denn da ist dann tatsächlich alles dunkel, und man sieht die Lichter durchs Dunkel wandern, sternförmig. Das Feier wird tatsächlich jedes Ostern in einer speziellen Laterne per Flugzeug aus Jerusalem gebracht und über die ganze orthodoxe Welt verteilt. In Athen gib es einen speziellen Ort für den Empfang und die Weiterleitung der Flamme.
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Die orthodoxe Welt ist mir bislang weitgehend verborgen geblieben. Nur aus der Lektüre der russischen Granden (Tolstoi, Dostojewski et al.) habe ich einiges auch der Unterschiede zum westlichen Christentum mitbekommen. Nochmals Danke für die interessante Schilderung.
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Feier = Feuer
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Hier noch der Link zur Exarchia Panagiou Taphou in Athen. https://gerdakazakou.com/2020/02/15/athen-historische-broeckchen-2-zwei-geschlossene-eisentueren-raum-zeit-collage/
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Danke!
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Da fehlt dem Wodan wohl die höchste Göttin, um wundertätiges Feuer zu bringen…!! Und mit „Jungmännern“ und „Jungfrauen“ wird das auch eher nichts … . Da hofft man dann, aus Asche Fruchtbarkeit zu erzeugen…. . Traurige Geschichte 😉!
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Ich denke, dass im Norden DIE Sonne es mit ihrem Feuer schon richten wird. Im Süden war der Feueraspekt wohl unwichtiger, sodass die Sonne dort männlich ist. Unter der Sonne schmelze ich dahin… 😉
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Diesen Tag sollte man zum offiziellen Feiertag ernennen und ihn gebührend schätzen!
Wir freuen uns auf das „zurückkehrende“ Licht.
Liebe Grüße,
Syntaxia und Felix
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Das ist auch meine Meinung. Auch wenn man es noch nicht „visuell“ merkt, vom Gefühl her spürt man, dass es aufwärts geht.
In diesem Sinne, dem Licht entgegen!
Liebe Grüße,
Joachim.
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