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Physik im Alltag und Naturphänomene, Physik und Kultur

Der gerade Blick auf der gekrümmten Erde

Als die Sonne dort versank, wohin unser Kurs uns führte, ging ich aufs Achterdeck und starrte auf die Spur des Kielwassers, die bis zum Horizont zu reichen schien, hinter dem Deutschland im Abenddunst versunken war. Die weiß schäumende Spur verlor sich in der Weite und entstand zugleich ununterbrochen aufs neue, solange das Schiff fahren würde. Das war banal und kam mir dennoch auf fast feierliche Weise bedeutsam vor, weil auch unser Leben solche Muster wirft. Und du, mein Schatz, bleibst hier.*

Wie weit mag der Horizont wirklich entfernt sein? Auch hier lasse ich wieder den Dichter sprechen: In „Sommermeteor“ von Arno Schmidt antwortet ein Geograf auf die Frage, „wie weit man denn im Allgemeinen so sehen (kann). Ich meine die Erde einmal als glatte Kugel vorausgesetzt“: „Nichts leichter als das … Sie ziehen die Wurzel aus Ihrer Höhe in Metern und nehmen sie mit 3,5 mal.“** Ich schätze mal, dass die Höhe auf diesem Schiff 4 Meter über dem Wasser liegt. Dann ergibt sich für die Entfernung des Horizonts gerade einmal 7 Kilometer. Die Abschätzung zeigt, wie ernüchternd klein der Bereich ist, den wir auf dem Meer überblicken. Deutschland wird also nicht im Abenddunst verschwunden sein, sondern hinter der durch die Kugelgestalt der Erde bedingten Krümmung der Wasserfläche.

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* Klaus Modick. Die Schatten der Ideen. München 2010. S. 111
** Arno Schmidt. Sommermeteor. In: 23 Kurzgeschichten. Frankfurt 1969. S.: 120f.

Diskussionen

11 Gedanken zu “Der gerade Blick auf der gekrümmten Erde

  1. Die Lehre ist also, die Welt, in der wir leben, die wir wahrnehmen ist sehr viel kleiner als die wirkliche Welt, die ganze Welt. Ob das schon Jemandem außer den Apollo – Astronauten, die das Foto von der aufgehenden Erde machten, aufgefallen ist? Und ob es Beachtung findet? Eher nicht, auch wenn uns die Journalisten mit Momentaufnahmen aus der weiten Welt bombardieren. Hinter dem Horizont bleibt hinter dem Horizont und maximal kann von Schatz zu Schatz gesprungen werden, jedoch keine logische Verbindungslinie, kein Gesamtbild aufgebaut werden, das vielleicht auch das eigene Handeln in Frage stellen könnte.

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    Verfasst von gerlintpetrazamonesh | 19. April 2024, 07:15
    • Umso mehr sind die Beobachtungen und Überlegungen derer zu würdigen, die aus meist übersehehen Phänomenen die Kugelgestalt der Erde erschlossen haben. Denn diese und darauf aufbauende Erkenntnisse sind ja die Voraussetzung dafür, dass es die Astronautik gibt und wir die von ihnen gemachten Bilder überhaupt verstehen.

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      Verfasst von Joachim Schlichting | 19. April 2024, 10:42
      • Ich staune jedes Mal neu über die mit doch primitivsten Mitteln und einem offenbar gut funktionierenden Gehirn gefundenen Erkenntnisse der Ahnen. Ob es praktische Dinge sind, die wir zum Teil noch heute im täglichen Gebrauch haben, oder Grundlagenforschung, wertfreie Wissenschaft – denn was fingen sie damals mit der Kugelgestalt an? – ist dabei nachrangig. Auch die Kritiker, deren Einwände wir heute oft abtun, sind zu würdigen. Denn Kolumbus hatte unrecht, die Erde war größer, als es seine Falschberechnungen vorgaben. Galileo postulierte seine Annahmen als absolute Wahrheiten und die antike Annahme der kugeligen Atome brachte die Vertreter des Horror vacui auf die festgefügten Barrikaden und erst neue Erkenntnisse oder zufällig im Weg liegende Kontinente führten zur Auflösung der Dilemmata.

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        Verfasst von gerlintpetrazamonesh | 21. April 2024, 08:12
      • Ja, so kommt eins zum anderen. Die Selbstverständlichkeit mit der heute die Erde als blaue Kugel im Weltall schweben gesehen wird, ist das Ergebnis eines letzten Endes menschheitslangen Prozesses. Wer macht sich das noch klar?

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        Verfasst von Joachim Schlichting | 21. April 2024, 09:04
  2. Das ist wohl eine Mär, dass man zunächst den Bug eines Schiffs sehe, dann klappe das Schiff nach vorne.
    Nein, man sieht eine johlende Menge zunächst (die an der unter dem Horizont befindlichen Reling steht), dies aber nur bei guter Sicht und einem guten Fernrohr, wohlgmerkt natürlich.

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    Verfasst von kopfundgestalt | 19. April 2024, 08:58
  3. Beim Blick auf das Kielwasser …kommt man ins Philosophieren….🩵💙🦢🤍💦

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    Verfasst von Gisela Benseler | 19. April 2024, 21:54
  4. 😊

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    Verfasst von Gisela Benseler | 20. April 2024, 14:14

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